„Puh! Ne, das ist mir zu kompliziert und anstrengend. Dann lieber doch ein bisschen Strafe!“ 😅
Strafen im Hundetraining?! Wirklich noch zeitgemäß und notwendig?!
Das ist eine Aussage, die mir leider noch immer häufig in meinem Job begegnet.
Viele Menschen kommen aus einer Generation, in der es in der eigenen Erziehung nicht unüblich war gestraft, emotional erpresst und „unter Kontrolle“ gehalten zu werden. Deswegen ist für die Menschen dieser Generation natürlich erst einmal einleuchtend, dass „ein bisschen“ Strafe vollkommen ok sei und ihnen auch nicht geschadet habe. Über die Nebenwirkungen wird nie nachgedacht.
Wenn ich mir die Statistiken zu psychischen Erkrankungen mal so anschaue und die Hintergründe dazu…wenn wir ganz ehrlich sind, wissen wir inzwischen sehr sicher, dass es uns in unserer Erziehung definitiv geschadet hat.
Mir fällt tatsächlich immer wieder auf, dass die Generationen, die jetzt nachrücken und bestenfalls schon bedürfnisorientierter erzogen werden (dazu gibt’s ja genügend Forschung und Studien), viel offener gegenüber bedürfnisorientierter Hundeerziehung sind, als die Generationen davor. Weil sie die Vorteile am eigenen Leib erfahren durften – und nein, das sind keine verzogenen Gören, wie auch dort oft das Vorurteil der Unwissenden herrscht.
Natürlich ist das in jeder Generation individuell, aber ich persönlich erkenne da einen Trend.
Immer wieder Diskussionsthema Nr. 1:
„Hundeerziehung ohne Strafen gibt es nicht“
Das stimmt 🤷🏼♀️ Punkt.
Allerdings muss man da gut differenzieren.
Wenn ich darüber spreche, dass ich nicht strafbasiert arbeite, bedeutet das:
Ich bringe den Hund nicht vorsätzlich in Situationen, die er nicht bewältigen kann, um ihn dazu zu zwingen das unerwünschte Verhalten zeigen zu müssen, um mir die Möglichkeit zu geben, dieses Verhalten zu „korrigieren“.
Das ist schlicht und ergreifend kein Training, sondern ziemlich große und unfaire Scheiße 🤷🏼♀️
Was genau ist denn dann Strafe? – Die 4 Lernquadranten
Um das genauer erklären und verstehen zu können, mag ich ganz kurz die 4 Wege anschneiden, über die wir Säugetiere lernen. JA auch wir Menschen – Sorry an alle, die denken, wir Menschen seien ganz anders als Hunde und müssten deswegen den schroffen Rudelführer auspacken 🤷🏼♀️
Zu jedem dieser 4 Lernquadranten könnt ihr Beispiele aus eurem eigenen Leben finden, ganz sicher 😉
Hier mal ganz kurz grafisch zusammengefasst, wie die 4 Lernquadranten funktionieren:
Eine kleine Anmerkung zu den Begriffen positiv und negativ:
Das hat nichts mit gut und schlecht zutun, sondern ist eher mathematisch zu verstehen.
Positiv = Hinzufügen (+)
Negativ = Entfernen (-)
Positive Verstärkung ➝ Emotion = Freude ➝ grün = möglichst immer nutzen
Wir belohnen den Hund bedürfnisorientiert für erwünschtes Verhalten, damit er es von sich aus immer häufiger, schneller, länger zeigt, weil es sich lohnt.
Beispiel: Eigenständiges Hinsetzen vor der Haustüre und warten vor dem Start des Spaziergangs ➝ bedürfnisorientierte Belohnung ist das Öffnen der Haustüre und los geht’s.
Negative Strafe ➝ Emotion = Frust ➝ gelb = vorsichtig anzuwenden
Wir enthalten dem Hund etwas Tolles vor (Ball, Leckerchen, Interaktion), um das Verhalten nicht zu belohnen. Diesen Quadranten muss man vorsichtig nutzen, denn er provoziert sehr schnell großen Frust und das ist der Garant für noch mehr unerwünschtes Verhalten. Hier heißt es, so schnell wie möglich wieder in den grünen Quadranten (R+) übergehen.
Beispiel: Dein Hund springt dich an und du reagierst nicht auf ihn, um dieses Verhalten nicht zu belohnen. Sobald dein Hund mit allen 4 Pfoten wieder auf dem Boden ist, bekommt er deine Aufmerksamkeit, Spiel, Futter, was auch immer. Du bist dann wieder im grünen Bereich und machst deinem Hund klar, dass alle 4 Pfoten auf dem Boden ihn zu den tollen Dingen bringt und sich viel mehr lohnt. Würdest du einfach weiterhin das Anspringen ignorieren, würde dein Hund nur noch mehr an dir hochspringen und nicht verstehen, was Phase ist. Natürlich spielen hier auch noch andere Faktoren mit rein, die das Trainingsvorgehen etwas abwandeln können, aber das würde jetzt hier zu weit führen.
Negative Verstärkung ➝ Emotion = Erleichterung ➝ orange = nur im Notfall bei „Shit Happens-Situationen“ und nicht dauerhaft
Dieser Quadrant ist ganz vorsichtig zu nutzen und schnell wieder in den grünen Bereich zu überführen. Ich musste z.B. anfänglich das Krallen schleifen meines Hundes so beginnen. Nach einem unschönen „Krallen-Knips-Unfall“ und der daraus resultierenden Panik meines Hundes vor dem Krallen schneiden, wollte ich das Schleifen mit Dremel einführen. Mein Hund hatte zu Beginn natürlich tierische Panik davor und so habe ich angefangen, ihm den Dremel einfach nur zu zeigen, ihn wieder wegzunehmen und danach mit ihm irgendwas schönes zu machen. Es dauerte nicht lang, dann war das Zeigen für ihn mit was schönem verknüpft und wir konnten wieder in den grünen Bereich driften.
Beispiel: Ein super bekanntes Beispiel für negative Verstärkung ist bei vielen Hundehalter*innen im Alltag so oft und unbewusst zu finden ➝ Das Hintern des Hundes ins Sitz drücken. Der Hund setzt sich, weil der Mensch Druck auf den Po ausübt, das unangenehm ist und er die Erleichterung verspürt, wenn der Mensch aufhört zu drücken. Deswegen ist das Signal „Sitz“, das auf diese Art beigebracht wurde auch oft nicht so zuverlässig abrufbar und bei den Hunden mir Unbehagen verbunden. Es gibt dafür viel spaßigere Möglichkeiten 😉
Positive Strafe ➝ Emotion Angst ➝ rot = Never ever in hundert Jahren nicht
Hier sprechen wir dann über bewusst zugefügte Strafen. Das Blöde daran? Dein Hund entscheidet, was er als Strafe und damit als schmerzhaft, ängstigend oder vertrauensmindernd empfindet! Das können hemmende Dinge sein, wie körperliches blocken, abdrängen, frontales bedrohliches ausrichten, streng gucken oder Schreckreize wie z.B. zischen, schimpfen, etwas werfen, aufstampfen oder Schmerzreize wie z.B. anrempeln, Knie reinrammen, wegschubsen, kneifen, mit dem Finger in die Flancken pieksen, Leinenruck usw. usf.
Die Liste ist unendlich erweiterbar, da so mega individuell.
Beispiel: Dein Hund soll lernen bei dir zu laufen und möchte dich überholen. Du rammst ihm deswegen immer wieder das Knie ins Gesicht, wenn er an dir vorbei möchte und „begrenzt“ ihn damit. Was lernt dein Hund? Nicht „Ah, mein Mensch möchte, dass ich genau hier laufen soll. Klar mach ich, ist lustig und macht Spaß.“
Nö – was bei ihm ankommt ist „Da vorne riecht es gut. Da würde ich gern hin, aber immer wenn ich an meinem Menschen vorbei möchte, wird der total unangenehm. Lieber nicht vorbeilaufen.“ Dein Hund ist gehemmt und zeigt Meideverhalten. Damit hast du quasi genau das Gegenteil von dem erreicht, was du wolltest – dein Hund läuft zwar bei dir, aber aus Angst davor, dass du wieder scheiße wirst 😉 Ist es wirklich das, was du erreichen wollest? Das neben dir laufen kannst du auch so aufbauen, dass es euch beiden Spaß macht 🤷🏻♀️
Für alle Quadranten und Beispiele oben gibt es natürlich immer noch zusätzliche Faktoren, die in das Verhalten des Hundes mit reinspielen können und zu berücksichtigen sind, aber das würde hier zu weit führen. Ich wollte nur eine kurze verständliche Übersicht bzw. Grundlage schaffen. Hunde sind individuelle Lebewesen wie du und ich. Bewusste Strafen sind nie harmlos, egal wie man sie nennt.
Meine 5 Cents zu Strafen in der Hundeerziehung
Einen Alltag komplett ohne Frust (also etwas das negativ straft) oder Erleichterung (negative Verstärkung) gibt es nicht. Darüber brauchen wir nicht streiten. Bei uns nicht und auch bei unseren Hunden nicht. Auch ungewollte positive Strafe gibt’s im Alltag. Wenn ich meinem Hund aus Versehen auf die Pfote latsche, kann das per Definition eine positive Strafe für ihn sein…es ist aber keine Erziehung im eigentlichen Sinne. Alltag ist das, was passiert während wir gemeinsam so vor uns hinleben. Shit happens da manchmal einfach und dann ist das doof gelaufen, aber wir bekommen es überlebt.
Wir haben aber ja Hunde, eine andersartige Spezies, in unser Zuhause aufgenommen. Diese Spezies lernt mit ihrem Säugetiergehirn genau so wie wir, hat aber vom Naturell her ganz andere Bedürfnisse. Jetzt sollen unsere Hunde natürlich bestenfalls komplett angepasst mit uns durch unsere menschliche Gesellschaft latschen. Wohlerzogene, unauffällige Mitläufer quasi. Also komplett nur unsere menschlichen Bedürfnisse erfüllen. Ich empfinde es dann nur als fair und unsere fucking Aufgabe, unseren Hunden nett und verständlich beizubringen, was wir uns von ihnen wünschen. Weil es einfach geht.
„Der weiß genau, dass er das nicht darf/soll!“
Äh NEIN! Sorry, das weiß dein Hund nicht. Woher auch? Er lernt zwar wie du, aber seine natürlichen Bedürfnisse sind doch ganz andere. Seine Bedürfnisse sind z.B. Rennen, Schnüffeln, Markieren, Jagen usw. usf.
Darin finde ich mich als Mensch persönlich nicht wieder. Wenn ich mir einen Hund ins Haus hole, weiß ich vorher schon, dass wir da nicht auf einer Wellenlänge sein werden 😂 Dann anzufangen, dem Jagdhund das Jagen durch Strafen madig machen zu wollen oder dem überschwänglich erfreuten Junghund das Hochspringen zur Begrüßung….äääh ja. Ziemlich asi, oder? Und vor allem klappt das oft auch überhaupt nicht so wirklich. Der Hund lässt es aus Angst vor deinen Konsequenzen. Ist der Reiz irgendwann mal unermesslich groß und das Dopamin kickt so richtig…ist deinem Hund die Angst in dem Moment scheiß egal. Die Konsquenzen nimmt er dann in Kauf 🤷🏻♀️
Spaß und erfüllte Bedürfnisse durch kreative und bedürfnisorientierte Belohnungen/Ersatzhandlungen siegen da halt. Wenn etwas Spaß macht und Bedürfnisse befriedigt – kickt auch da das Dopamin 💪🏻
Und nochmal kurz zu „Positives Training ist langwierig und anstrengend, dann lieber flott mal bissl strafen!“
Wie ich eingangs schon erwähnte, höre und lese ich ganz oft wie anstrengend Training auf Basis positiver Verstärkung doch sei. Auf was man da nicht alles achten müsse und immer dieses ganze Timing-Gedönse, Markertraining usw. – Ne, dann lieber mal zack Strafe und der Drops mit dem Fehlverhalten ist gelutscht.
Ich möchte dir nochmal kurz 3 Facts zum „unkomplizierten“ Training mit Strafen aufzeigen, damit auch diese annähernd funktioniert:
- Du musst auch hier im komplett richtigen Moment strafen, sonst verknüpft es dein Hund nicht oder blöderweise sogar noch falsch. Timing ist auch hier das A und O. 🤷🏻♀️
- Du musst zusätzlich noch in der richtigen Intensität strafen – nicht zu hart, sonst könntest du deinen Hund traumatisieren, nicht zu leicht sonst bringt es nichts. Das nennen die aversiven Trainer*innen auch gerne „wohl dosiert“.
Ob es die richtige Intensität war, erkennst du aber erst, nachdem du die Strafe gesetzt hast. Am Verhalten deines Hundes. Wenn es blöd läuft, hast du einen sensiblen Hund und deine Strafe war zu intensiv…dein Hund ist gehemmt und hat Angst vor dir, daran kannst du dann erstmal nichts mehr ändern. Nächste Baustelle: Trauma mit einer Trainer*in behandeln 😕
War die Strafe zu lasch, macht dein Hund einfach weiter mit dem unerwünschten Verhalten und der Spießrutenlauf beginnt. Oder die Aggressionsspirale bei dir beginnt sich zu drehen….immer und immer härtere Strafen. - Du musst das unerwünschte Verhalten IMMER strafen! Nur so ab und zu bringt nichts. Das ist für deinen Hund wie Lotto spielen und es lohnt sich, die Strafe in Kauf zu nehmen, weil ja auch ganz oft nix passiert.
Die Definition einer funktionierenden und korrekt ausgeführten Strafe besagt übrigens, dass danach das unerwünschte Verhalten weniger wird oder danach ganz ausbleibt. Viele Hunde fallen dadurch auch in die erlernte Hilflosigkeit.
So „mal eben strafen“ ist in der Hundeerziehung nämlich auch nicht.
Und ich bin immer wieder erstaunt, wie oft ich von Hundehalter*innen höre „Positives Training dauert zu lange. Ich habe das ein paar Wochen/Monate mal probiert, hat nix gebracht.“ … aber die gleichen Menschen sind bereit ein und dasselbe Verhalten jahrelang zu „strafen“.
Jetzt mal Butter bei die Fische:
Wie viele Menschen kennst du oder siehst du täglich, die schon seit Jahren, in den gleichen Situationen, die gleichen unschönen Dinge mit ihren Hunden tun und es ändert sich null Komma gar nüscht?
Der Hund pöbelt, seit Jahren wird an der Leine gerupft und laut „Aus! Schluss jetzt! Verdammt Hacke!“ gebrüllt? Vielleicht noch ne Wasserdusche aus der Flasche gefällig?
Der Hund springt aus der Aufregung heraus Menschen an und jahrelang wird das Knie gehoben, der Hund weggeschubst und laut geflucht.
Kennst du bestimmt, oder? Sind das dann Strafen im Sinne des Lernens?
Nö – denn dann müsste der Hund ja schon lange aufgehört haben.
Das sind dann einfach nur ungemütliche und unfaire Versuche des Menschen, die den Hund dann jahrelang unnötig damit malträtieren. Dazu lernt der Hund in diesem Falle nichts.
Und ganz ehrlich?
Wenn ich im positiven Training ein falsches Timing habe, belohne ich schlimmstenfalls das falsche Verhalten, mache mir aber meine Beziehung und das Vertrauen meines Hundes nicht kaputt.
Hunde machen super mit, wenn sie motiviert werden, wenn es Spaß macht. Sie lernen gerne neue Dinge für ihr Verhaltensrepertoir und können unerwünschte Verhaltensweisen mit diesen neuen erwünschten Verhalten ersetzen.
Du musst es nur mit deinem Hund MACHEN 😉
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