Die Sache mit dem Stress

Kürzlich war ich bei einer Familie zum Erstgespräch. Die Hündin, knapp 2 Jahre alt, war erst vor kurzem von einer anderen Familie wegen Zeitmangels abgegeben worden und bei meinen Kunden eingezogen. Eine super liebe Hündin….ihre einzige sichtbare „Baustelle“:

Sie kreiselte und jagte ihren eigenen Schwanz. Manchmal so ausgiebig, dass sie in einen Tunnel geriet, nicht mehr ansprechbar war und man sie deswegen nicht unterbrechen konnte.

Das waren die Infos, die ich im Vorfeld zum Termin von meiner Kundin bekam.

Mir war natürlich direkt klar, dass wir hier Detektiv spielen werden. Denn das ist nur das, was oberflächlich passiert und ein Ausdruck von ganz anderen Baustellen ist. Das war meiner Kundin bewusst, weshalb sie sich bei mir Hilfe gesucht hat.

Als ich zur Türe reinkam, war mir nach einigen Minuten auch glasklar, was das Problem war.

Mit im Haushalt wohnte – zum einen – ein süßer, sehr aufgeweckter 4-jähriger Junge, der die Hündin sehr lieb gewonnen hatte und sie gerne in alle seine Spiele mit einbeziehen wollte. Er wollte sie drücken, knuddeln und mit ihr mit seinen Spielautos spielen. Alles total normal für 4-jährige Kinder – sie können nicht wissen, dass Hunde so mal überhaupt nicht ticken.

Zum anderen wohnte noch eine Katze mit im Haushalt. Die Hündin war grundsätzlich sehr nett mit dieser Katze. Nur leider viel zu neugierig und wollte immer mal hinterher und schnüffeln. Naja, wie es so ist – fand die Katze da so semi und hat gefaucht und ausgeschlagen.

Dazwischen eine absolut motivierte und engagierte Mutter, die aber etwas verloren in dieser Situation wirkte. Total hilflos, wie sie diese Dreierbande richtig in die Bahn bekommen, wo anfangen und wie das umsetzen sollte.

Im Gespräch kam noch raus, dass die Hündin bei den Vorbesitzern viel und lange alleine war und zusätzlich Allergien hatte.

Also einmal das Geamtpaket 😕

Mir war also recht schnell klar, wieso die kleine Hündin sich während des Termins immer und immer wieder um die eigene Achse drehte und ihren Schwanz jagte – es war massiver Stress. Stress durch die Lautstärke und den (für ein Kind normalen) Umgang des Sohnes mit ihr. Stress durch die Anwesenheit bzw. das Verhalten der Katze. Frust, weil sie nicht einfach hin und schnüffeln kann. Juckende Ohren und Haut durch die Allergien.

Was war also mein erster Impuls?

NEIN, diese Hündin braucht nicht mehr Grenzen und Einschränkungen. Das höre ich allzu oft als Ratschlag, wenn ein Hund nicht gesellschaftskonform funktioniert.

Der Hund ist aufgeregt? – Schränk ihn ein!
Der Hund hört nicht? – Schränk ihn noch mehr ein!
Der Hund macht Dinge kaputt? – Verdammt noch eins! Noch mehr Grenzen!

Das ist der größte Bullshit, den ich je gehört habe! Lass dir das nicht einreden. Beginne lieber auf Ursachenforschung zu gehen. Spiel Detektiv und schau, WIESO dein Hund ein spezielles Verhalten zeigt (bellen, knurren, abschnappen, kreiseln etc.) oder je nachdem eben auch nicht zeigt (der Hund reagiert nicht).

Das was wir sehen ist nur die Oberfläche, die Spitze des Eisbergs oberhalb der Oberfläche. Unterhalb finden wir die Ursachen.

Was war also mein Trainingsansatz hier?

Bei dieser Hündin mussten wir erst einmal ein paar Regeln für alle Familienmitglieder einführen, die zu mehr Ruhe im Haushalt und somit für die Hündin führen.

  • Die Hündin hat ihren Rückzugsort in einem Körbchen im abgelegenen Schlafzimmer. Dorthin wird sie zukünftig gebracht, wenn es wieder laut und hektisch wird. Gemeinsam mit einer tollen Kaubeschäftigung (gefüllter Kong, Kauknochen o.ä.), damit sie runterfahren kann. Dieser Rückzugsort ist für ALLE Tabu – für die Menschen, inklusive des 4-jährigen, wie auch für die Katze. Wir möchten erreichen, dass die Hündin sich zukünftig alleine dorthin zurückzieht, wenn es ihr zu viel wird.
  • Der 4-jährige durfte direkt von mir die „Eine-Hand-Methode“ lernen. Das ist hochtrabend für „Du darfst die Hündin nur noch mit einer Hand gleichzeitig berühren und kraulen. Nicht greifen, packen oder feste drücken.“
  • Selbstverständlich erkläre ich das den Kindern etwas bildhafter und kindgerechter. Mit Beispielen aus dem eigenen Empfinden, damit sie diese neue Regel besser verstehen und umsetzen können. Danach sind natürlich die Eltern dann an der Reihe, den kleinen Mann immer wieder an meine Worte zu erinnern und ihn dabei zu unterstützen, diese Vorgehensweise als neue Umgangsweise zu etablieren.

  • Das Einführen eines Markersignals
    Um gutes Verhalten für die Hündin ganz klar und verständlich abgrenzen zu können, haben wir ein Markersignal eingeführt. Gerade im Bezug auf das Zusammenleben mit der Katze, ist das Gold wert. So kann das ruhige Hinschauen, aber eben stehenbleiben und nicht hinlaufen gemarkert und belohnt werden. Recht schnell lohnt es sich für die Hündin mehr, einfach nur stehend zu schauen, anstatt der Katze entgegenzujagen.

  • Katze und Hund sollen noch eine Weile erst einmal nur kontrolliert zusammengelassen werden. Während kurzer Übungseinheiten immer wieder über Tag. Ansonsten ist erst einmal Trennung angesagt, damit beide sich zurückziehen und sicher fühlen können.

  • Das Aufbauen eines Entspannungssignals
    Es ist keine Neuigkeit mehr, dass wir das Gefühl der Entspannung mit einem Signal verknüpfen können und somit Entspannung gezielt abrufen können, wenn wir sie brauchen. Wir kennen das alle von unserem Lieblingssong, der uns plötzlich erdet und runterholt oder von einem Gute-Nacht-Lied, das uns unsere Mutter vielleicht immer wieder vorgesungen hat.
    Das Prinzip ist dasselbe.
    Was wir davon haben? Wenn die Hündin wieder in Stress gerät, können wir sie zügig und kurz etwas herunterfahren und aus der Situation herausnehmen, ohne dass sie wieder beginnen muss zu kreiseln.

  • Das Aufbauen eines Handtouches
    Was ist das?! Im Grunde heißt es nur, dass die Hündin auf ein Signal hin die Hand ihrer Menschen anstupsen soll. Das ist ein total cooles und hilfreiches Signal, da es viele Funktionen hat: Beziehungsaufbau durch Spaß, Rückruf mit einer klaren Aufgabe aus allen möglichen Situationen, freundliches Abbruchsignal und vieles mehr. Ich erhoffe mir auch, dass wir so das Kreiseln managen können, denn die Hündin machte schon bei den ersten kleinen Übungseinheiten fröhlich mit.

  • Juckreiz durch Allergien nochmal checken lassen und Futtermittel etc. auf Inhaltsstoffe überprüfen

Du siehst, da ist überhaupt nichts mit frustrierender Einschränkung bei meiner Vorgehensweise. Alle Mitglieder des Haushalts sollen sich wohl fühlen und in ihrem eigenen Tempo lernen dürfen. Es müssen neue Abläufe und Routinen eingeführt werden, die für alle den Stress reduzieren – das braucht eben Zeit! Bei allen Beteiligten. Das ist nicht von heute auf morgen geschafft. Aber es dauert eben auch nicht ewig, wenn alle konsequent dabei bleiben und ihr Bestes geben.

Schon während unseres Erstgesprächs sah man eine kleine Veränderung bei der Hündin. Das Kreiseln ging fast gegen Null, sobald der Stress raus war. Lief der Alltag und Umgang wieder „normal“ wie zuvor, hörte sie wieder nicht auf zu kreiseln.

Alleine das war schon ein guter Ausblick auf die Zukunft. Denn die Familie konnte direkt sehen, wie es aussehen kann, wenn sie den weg gehen und dranbleiben 😃

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    Jessica Hein

    Jessica Hein

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